Nachgefragt: ear.direct präsentiert neues Versorgungskonzept

Nachgefragt: ear.direct präsentiert neues Versorgungskonzept

Das Online-Angebot ear.direct hat, seitdem die Webseite im August 2018 online gegangen ist, für viel Gesprächsstoff gesorgt. Wilde Gerüchte und Vermutungen eilten von einer WhatsApp-Gruppe zur anderen. Gemeinsam mit Waldemar Grünemayer von akustik-ultimate.de trafen wir den Geschäftsführer Julian Hiddemann während des Kongresses in Hannover zum gemeinsamen Interview.

Vorab noch: Julian Hiddemann arbeitet seit mehr als acht Jahren als Hörakustik-Meister in seinem Ausbildungsbetrieb, Hörakustik Pietschmann in Frankfurt am Main. Seit 2018 leitet er zudem die Geschäfte der Firma Ear.Direct GmbH mit Sitz im hessischen Hattersheim. Die ear.direct GmbH fungiert unabhängig als alleiniger Betreiber der gleichnamigen Online-Präsenz.


Marco Schulz: Herr Hiddemann, wie ist die Idee für dieses Konzept entstanden?

Julian Hiddemann: Offen gesagt haben wir uns durch das Lyric-Konzept, das wir seit circa acht Jahren erfolgreich vertreiben, inspirieren lassen. Der ursprüngliche Gedanke, Hörgeräteträgern in regelmäßigen Abständen Upgrades im Rahmen einer Gesamtpaketes zukommen zu lassen, gefällt uns und unseren Kunden. Die Industrie lebt uns kurzlebige Innovationszyklen von circa 18 Monaten vor. Dem gegenüber steht der weit verbreitete 72-Monats-Zyklus einer Hörgeräteversorgung, bedingt durch die Festbetrags-Perioden für gesetzlich Versicherte. Diesen Rhythmus wollen wir mit ear.direct aufweichen oder zumindest eine Alternative bieten, um so Hörgeräteträgern regelmäßige Geräte-Updates zur Verfügung zu stellen.

Waldemar Grünemayer: Mit welchen Produkten arbeiten Sie bei ear.direct?

Die Inhaber von ear.direct: Julian Hiddemann, Anja Eichenauer und Jens Pietschmann.

Julian Hiddemann: Von Anfang an bieten wir zwei Lösungen für unseren Service an: die myPhonak App und die myHearing App von Signia. Der Vorteil beider Apps besteht in der Möglichkeit, eine synchrone Echtzeit-Einstellung mit den Kunden vornehmen zu können, das heißt wir können während wir live mit dem Kunden sprechen die Hörgeräteeinstellung vornehmen.

Marco Schulz: Das Konzept ist ja zugegebenermaßen sehr weit weg von der gängigen Praxis. Welche Zielgruppe möchten Sie ansprechen?

Julian Hiddemann: Wir holen die Leute, die sich nicht in den Laden trauen oder sehr wenig Zeit haben, ab und bieten eine Lösung in ihrem ganz privaten Umfeld. Damit wollen wir den Markt erweitern. Dass der bestehende Markt nicht ersetzt wird, ist uns absolut bewusst und nicht unsere Intention.

Es geht uns vor allem um Transparenz, das Aufklären über zeitgemäße Technologien wie Bluetooth-Streaming und über moderne Service-Ansätze durch Teleaudiologie. Der Kunde kann zu jedem Zeitpunkt selbst entscheiden, ob er ein neues „Starterpaket“, sprich neue Hörgeräte, leasen möchte. Egal ob nach dem 1. oder dem 3. Jahr. Unser System bietet maximale Flexibilität.

Es geht uns darum, den Markt zu öffnen und transparent zu machen

Julian Hiddemann Geschäftsführer ear.direct

Marco Schulz: Was passiert dann mit den alten Geräten?

Julian Hiddemann: Diese nehmen wir zurück. Wir sind aktuell noch auf der Suche nach der Bestmöglichen Lösung für das „Danach“.  Eine Idee ist, dass wir die Hörgeräte aufarbeiten lassen und im Rahmen von Charity-Aktionen Bedürftigen in anderen Ländern zur Verfügung stellen.

Marco Schulz: Können Kunden Ihre Leistungen bei den Krankenkassen abrechnen?

Julian Hiddemann: Gesetzlich Versicherte können sich über unser Modell keinen Zuschuss der Krankenkassen holen. Privat Versicherte hingegen können die Rechnungen bei deren Kassen einreichen. Es ist durchaus möglich, dass die Privatkassen die Hörgeräte in diesem Fall bezuschussen.  

Waldemar Grünemayer: Wie realisieren Sie die Messungen und wie sieht der First Fit aus?

Julian Hiddemann: Wir nehmen die Voreinstellung auf Basis des Ton-Audiogramms des Kunden vor. Dieses soll er durch seinen HNO-Arzt erstellen lassen. Wir geben kein explizites Partnernetzwerk vor. Das Audiogramm kann der Kunde dann bei uns uploaden oder uns bis zu 10 Tage nach der Bestellung schicken. Für die Voreinstellung verwenden wir die NAL-NL2-Anpassformel und begrenzen bei 90 dB.

Waldemar Grünemayer: Wie werden die Geräte dann schließlich ans Ohr Ihrer Kunden gebracht? Mit Schirmchen oder können Otoplastiken realisiert werden?

Das Konzept

Der Kunde wählt zwischen drei Service- und Starterpaketen. Die Pakete Eco, Business und Premium unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Leistungsklasse der Hörsysteme und durch die Anzahl der jährlichen Fernanpassungssessions.

Das Eco-Paket für 29,99 € pro Monat beinhaltet zum Beispiel drei Fernanpassungen pro Jahr. Das dazugehörige Starterpaket umfasst Hörsysteme mit 3er Klasse bei Signia oder 50er Klasse bei Phonak.

Der Preis für das dazugehörige Eco-Starterpaket ist einmalig pro Ohr und beträgt 499,- €. In Summe bezahlt der Kunde also auf 6 Jahre unter 3.200 €, sprich 1.600 € pro Hörsystem, ohne sich fest an ein Gerät zu binden. Inklusive sind pro Jahr 120 Batterien, 10 neue Cerumenfilter und 8 Domes, Pflegemittel sowie Trockenkapseln.

Julian Hiddemann: Unseren Kunden senden wir die Geräte mit einer 2er Hörer-Länge und unterschiedlichen Domes, hier hauptsächlich geschlossene, entsprechend des Hörverlustes zu. Sie erhalten außerdem eine ausführliche Anleitung und Ersteinweisung. Mittels Videotelefonie können wir den richtigen Sitz der Hörgeräte kontrollieren. Otoplastiken sind durch unser Modell dementsprechend nicht vorgesehen. Unsere Kunden können uns zu jedem Anliegen telefonisch oder per Mail kontaktieren.

Marco Schulz: Und wenn der Hörer zu kurz oder zu lang ist?

Julian Hiddemann: Dann senden wir ganz unkompliziert eine passendere Länge zu und kontrollieren den Sitz erneut.

Waldemar Grünemayer: Wie messen Sie den Hörerfolg oder den Diskriminationserfolg Ihrer Kunden?

Julian Hiddemann: Wie bei einer Hörgeräteversorgung im lokalen Fachgeschäft kann sich der Kunde natürlich auch bei uns zur Qualitätssicherung einer audiometrischen Untersuchung beim HNO-Arzt unterziehen. Wir selbst verfolgen den subjektiven Ansatz. Das liegt in der ebenfalls am Grundprinzip unseres Konzeptes, denn die Feineinstellung bezieht sich ja auf eine reine Telefon- oder Video-Einstellung. Der Kunde erhält zusätzlich einen Fragebogen, zum Beispiel einen APHAB-Bogen, den wir gemeinsam mit dem Kunden durchgehen. Außerdem nutzen wir auch die Möglichkeiten der Apps, wie zum Beispiel die Zufriedenheitsbefragung bei Signia und Phonak.

Marco Schulz: Zusammengefasst verschiebt ear.direct klassische Leistungen des Hörakustikers in eine Richtung, bei der der Kunden ein Fachgeschäft nicht aufsuchen muss. Inwieweit steht Ihr Konzept im Spannungsverhältnis mit der Handwerksordnung, Stichwort zulassungspflichtes Handwerk der Anlage A der HwO?

Julian Hiddemann: Wir sind im Kontakt mit der Handwerkskammer und befinden uns aktuell in der Klärung. Das Thema Handwerksrolle und Meisterbetrieb umgehen wir natürlich nicht. Ich selbst bin Akustik-Meister und auch meine Kollegen, Jens Pietschmann und Anja Eichenauer, erfüllen die Qualifikation.


Ihr Autor: Marco Schulz

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